Beäugt und bewegt

„Augenblicke“: Der Videokünstler Louis von Adelsheim zeigt eine neue Installation in Stadt und Schloss Adelsheim
von Simon Strauß

Sie sind besonders wichtig, wenn man einen Menschen kennen lernt. Sie scheinen der geheimnisvolle Eingang zu sein ins Innenleben des Gegenübers. Man liest in ihnen Schmerz und Liebe, Verzweiflung und Heiterkeit. Sie versprechen viel, und manchmal täuschen sie furchtbar. Augen sind seltsam und unergründbar, – leuchtend und schön.
In diesem Sinne leuchtet es in diesem Sommer wieder in Adelsheim, und das Motto heißt „Augenblicke“. Wer den Gang durch die Hauptstraße beginnt, der wird gleich von allen Seiten beäugt. Hunderte Augen schauen den Besucher interessiert, hektisch, aufmerksam, lächelnd oder scheu an. Sie blicken aus der Apotheke, aus der Bäckerei, dem Fleischereigeschäft, Monitore sind überall aufgestellt, auch beim Optiker und beim Zeitschriftenhändler und in einigen Wohnungsfenstern.

Schloss und Schlosspark aber sind das Zentrum von „Adelsheim leuchtet“: Der Gang an zwei nachtmahlenden blauen Schafen („Schafe, Schafe – Häusle bauen“) vorbei, führt zuerst zu Augenblicken in der Literatur. Man sieht, wie jemand liest, wie über die Augen der Text aufgenommen wird: Kierkegaard und Eichendorff, Saint Exupéry und Fontane. Die Kamera-Einstellung, die nicht nur die Augen der Leserin, sondern auch einen Teil der Nase zeigt, macht schon die Doppeldeutigkeit des Begriffs deutlich. Zum einen geht es um den wortwörtlichen Augen-Blick, der in der Ausstellung immer wieder und auf faszinierende Weise eingefangen wird, zum anderen werden aber auch Augenblicke des Lebens gezeigt, also Momentaufnahmen, die aus einem fortlaufenden Prozess herausgenommen und als eine Sequenz gezeigt werden.
Lange steht man vor der „Spiegelkiste“, die wieder einen „Blick in die Unendlichkeit“ gewährt (es spielen die sich immer wieder spiegelnden Hände von Pianist Johannes Roloff eine Beethoven Sonate), danach gelangt der (zum Beispiel durch die Installation „Blickwinkel“) beäugte Besucher zu dem Hauptkunstwerk der Ausstellung: Die Videoprojektion „Augenblick“.

Auf einer Leinwand von 25 mal 5 Metern kommen einem indische Jungen und Mädchen entgegen. Am Strand von Goa, in der Morgensonne schlendern sie auf den Betrachter zu, der gebannt ist von diesen schönen Gesichtern, von den sprechenden Augen. Insgesamt dauert die Projektion 45 Minuten und diese Zeit sollte man sich wirklich nehmen, um die Eindrücklichkeit und Originalität dieses Kunstwerkes zu verstehen. Eine ganz außergewöhnliche Stimmung geht nämlich von diesen Jungen und Mädchen aus, die nacheinander in die Kamera hineinzulaufen scheinen und dann wieder verschwinden. Man übt die Augen darin, genau hinzuschauen, um all die kleinen Unstimmigkeiten in diesem gleichförmigen Lauf der Kinder zu entdecken. Eine wunderbare Metapher scheint das zu sein für den Lebensweg, aber man kann es auch einfach nur als einen Augenblick sehen , der stattgefunden hat an einem Strand, weit entfernt und geheimnisvoll beruhigend.

Der Videokünstler Louis von Adelsheim kreiert in diesem Jahr eine wundersame, berührende Stimmung. Ist man am Anfang von den vielen Augen irritiert, so beginnt man bald, in ihnen zu lesen. Man stellt sich vor, wem sie gehören mögen, ob jung oder alt, Mann oder Frau, glücklich oder verzweifelt und spät in der Nacht, wenn viele schon gegangen sind, dann sitzt man froh in der teelichtbeleuchteten Schlossbar und will gar nicht aufhören, immer wieder in Augen zu schauen. Man lernt hier, die Schönheit des Augenblicks zu erkennen und die Kraft, die jener wichtige Sinn ausstrahlt. Im hektischen Lebenswandel der Gesellschaft heute werden die Augen allzu oft missbraucht, sie werden von einem Bild zum nächsten gejagt, so dass der Geist fast nicht mehr mitkommt. Im Adelsheimer Kunstsommer kann man seinen Augen trauen, ihnen eine Pause gönnen.

Louis von Adelsheim – unterstützt von vielen Adelsheimern – hat es auch in diesem Jahr geschafft, mit seinen Installationen, Projektionen und Illuminationen in Park und Stadt eine aufregende und gefangen nehmende Kunstatmosphäre nach Baden zu bringen.

Info: Adelsheim im Odenwald, bis 28. Juli immer Donnerstag bis Samstags von 22 Uhr bis 1 Uhr.

Rhein-Neckar-Zeitung
4.7.2007