Beleuchtetes Chaos

„Die Aufgabe der Kunst von heute ist es Chaos in die Ordnung zu bringen“. Dieser Appell des Philosophen und Soziologen Theodor W. Adorno  könnte als Motto stehen über der diesjährigen Sommerausstellung des Videokünstlers Louis von Adelsheim, die den Titel trägt  „Chaos Mauer Werk“. Schon vom Tickethäuschen aus, wo man von freundlichen freiwilligen Helferinnen begrüßt wird,  kann man die erste visuelle Einlösung des Chaos-Titels erkennen: Da dreht sich im Schlossgraben mit ungeheurer Wucht das blinde Auge einer Waschmaschine, und in ihrem Inneren herrscht der bedingungslose Chaos-Kampf  wild durcheinander gewirbelter Kleidungsstücke. Allzu lang darf man hier allerdings nicht verweilen, denn schon diese erste Installation strahlt eine seltsame Aggression aus, von der der Betrachter geradezu überrumpelt werden kann.  Das Durcheinander ist nämlich auf den Kopf eines Riesentorsos projiziert.  Wir sehen das Chaos in seinem (in unserem?) Kopf.  Das Gefühl eines leichten Unbehagens stellt sich dann beim Gang durch den  poetisch beleuchteten Schlosspark  noch mehrmals ein. Zum Beispiel beim Anblick einer auf die Häuserwand projizierten überdimensionalen Baggerschaufel, deren furchterregende  Klappbewegung  an das Maul eines Krokodils erinnert. Besonders bedrohlich erscheinen aber vor allem auch die 30 riesigen Kunstfiguren, die als gespensterhafte Mahner an verschiedenen Orten der Ausstellung auftauchen.  Aus ihren Körpern strahlt es, im wörtlichen Sinne, denn auf sie projiziert sind Bilder aus Atomk¬raftwerken. Auf den Körpern einer Gruppe blubbert das Kühlwasser, auf denen einer anderen spannen sich Stromleitungen  und Isolatoren. Bedrückender und ausdrucksstärker als in jeder Talkshowrunde mutet hier der Fukushima Nachklang an.  Es zeichnet die Ausstellung besonders aus, dass sie es auf sensible Art und Weise versteht, dieses Thema anzuspielen, ohne es agitatorisch auszuspielen.  Die weißen Men¬schen-Silhouetten taugen nicht als  Anti-Atom-Protestler-Abbild, sondern scheinen  (von einer fast schon mythischen Konnotation)  eher Warner und Begleiter auf unserem Weg in eine leb¬lose Unterwelt zu sein.

Neben dieser eindrucksvollen Ernsthaftigkeit  gibt es aber auch in dieser (inzwischen 14. ) Adelsheimer Ausstellung wieder höchst ironische , das Auge verzaubernde Momente. Da fahren zum Beispiel Angela Merkel und Muammar Gaddafi in einem alten Ro 80 im Schlossgraben und wirken beide recht benebelt. „Zu spät“ betitelt ein Schild diese Installation und lässt damit offen,  ob hiermit die zögernde Haltung der deutschen Außenpolitik im Libyen-Einsatz oder einfach nur mit einem Augenzwinkern die Tageszeit gemeint ist.  Auf der langen Wand der alten Stadtmauer flackert mit verblüffender Genauigkeit eine unruhige Linie, die über die Fenster der Landwirtschaftsschule hinausgeht. Vielleicht ist das der Ausschlag eines EKGs, vielleicht aber auch nur der Reflex eines Sonnenstrahls auf einer Wasserfläche, in jedem Fall aber ein wunderbares, das alte Gemäuer fantastisch in Szene setzendes Bild. In der Spiegelinstallation des Künstlers bietet sich dem Betrachter in diesem Sommer ein ganz besonderer „Blick in die Unendlichkeit“:  Da trennt eine  Papiersortiermaschine mit einer ähnlich monotonen Bewegung wie die Waschmaschine zu Beginn tausende von Altpapierfetzen. Durch die unendliche Spiegelung dieses Vorgangs verschwimmen die Einzelteile zu vielfach interpretierbaren Mustern. Dem einen scheint es, als ob auf einmal Millionen von Kussmündern ihn verführen wollten, der andere meint abstrakte Formen eines Malewitsch-Bildes erkennen zu können. Ähnliche Wirkung haben die Bilder auf der Großleinwand, die dem Chaos der Energiewege und –Gewinnung Tribut zollen. Louis von Adelsheim hat im chilenischen Valparaiso Strommaste und Kabelgewirr  gedreht und diese Aufnahmen zu seltsam schönen, geradezu kon¬templativen Szenen eines geordneten Durcheinanders montiert .

Gegen Abschluss  des Spaziergangs (und auf der Suche nach dem immer wieder angekündigten Mauerblümchen)  kann man sich dann am Feuer – bei der Lesung von Manuela Reichart – das (Gefühls-) Chaos  noch einmal literarisch beleuchten lassen. In drei Geschichten geht es um das Chaos, das die Welt regiert: Liebe, Leidenschaft und Geld.

Am Ende angekommen – und freundlich bewirtet in der Oberschlossbar – denkt man noch lange über die genau komponierte Vielfalt der Bilder nach, und ist sehr froh, dass die dreidimensionalen  Projektionen, die das Schloss in ein vom Verfall bedrohtes Gemäuer verwandelt haben, nur optische Täuschung waren.

Dass der Adelsheimer Kunstsommer im nächsten Jahr – wegen einer großen  Ausstellung von Louis von Adelsheim in Santiago de Chile – ausfallen wird, ist wunderbar und besorgniserregend zugleich, denn ein Sommer „ohne Leuchten“ kann in Adelsheim nur eines werden: chaotisch.

Simon Strauß

 

Die letzte Möglichkeit zum Besuch der Ausstellung „Adelsheim leuchtet“ : Freitag und Samstag ab 22h – Samstag ab 24h gibt es die Nacht der vielen Feuer im Park.