Fische schwimmen hinter Fensterfassaden

Louis von Adelsheim, Schlossherr, Weltenbummler und Lichtkünstler
Von Wieland Schmid

Warum ihn die Leute so mögen, ist nicht auf einen Punkt zu bringen. Er sei einfach so ein liebenswerter Mensch, rühmen ihn die einen und beteuern, dass er wirklich niemals großkotzig auftrete und immer freundlich sei. Er sei ein Exzentriker, sagen andere, aber einer von der netten und mitreißenden Sorte. Der Bürgermeister Klaus Gramlich sieht in ihm einen, der dem ganzen Ort gut tut.
Früher, sagt der Rathauschef, habe es immer nur geheißen, Adelsheim – dort ist doch der Jugendknast. „Heute heißt es Adelsheim – dort leuchtet’s.“ Seit Louis von Adelsheim im vergangenen Jahr mit einer ungewöhnlichen Videokunstaktion innerhalb von fünf Wochen mehr als 5000 Besucher ins Städtchen und in seinen Schlosspark gelockt hat, sind auch die allermeisten der 5500 Adelsheimer begeistert von bisher ungesehenen Spielereien mit Form und Licht.
Auch Louis von Adelsheim ist begeistert von seinen Mitbürgern. „Ich begegne hier einer unglaublichen Freundlichkeit und Offenheit“, sagt der 53-jährige Herr über das 270 Jahre alte Adelsheimer Schloss samt 470 Hektar Wald und 300 Hektar verpachteten Äckern. Der schlaksige Spross der beiden freiherrlichen Adelsgeschlechter derer zu Ernest und derer von und zu Adelsheim muss sich allerdings erst noch ein bisschen daran gewöhnen, dass er jetzt tatsächlich in einem Barockschloss mit 28 Zimmern auf vier Etagen lebt und die Leute ihn mit „Herr Baron“ anreden.
Denn seine Freunde brüllen einfach lauthals „Louis!“, wenn sie etwas von ihm wollen. So war es der Mann bisher gewöhnt, wo immer er sich auch gerade tummelte. Wer ständig auf der Suche nach neuen Betätigungsfeldern, neuen Lebensmittelpunkten, neuen Freunden aus allen sozialen Schichten und letztlich nach dem Sinn des Lebens überhaupt ist, der wird flexibel.
Louis von Adelsheim merkt es nicht einmal, wenn ihm im Eifer des Gesprächs das Hemd aus der Hose rutscht. Dass der Baron überhaupt nicht eitel sei, ist ein weiteres Lob, mit dem ihn die Adelsheimer bedenken. Dafür war er nach eigener Bekundung „schon früher ein kleiner Rebell“, Vater Joachim war ein adliger Forstmann und hielt viel von Pflichterfüllung und Verantwortung. Der einzige Sohn dagegen hat sich nach der Schulzeit in Eliteinternaten wie Salem und dem Abitur in Berlin nie so recht entscheiden können, wo seine Berufung liegen könnte. Er hat sogar zwei Pässe, den deutschen und den schweizerischen. Es hat dem Abkömmling der Berner Patrizierfamilie von Ernest durchaus Spaß gemacht, als Korporal der schweizerischen Luftschutztruppen jungen Rekruten die Rettung aus zerbombten Häusern beizubringen. An den Hochschulen von Zürich, Berlin und Sankt Gallen war er neugierig auf Philosophie, Kunst, Psychologie und Betriebswirtschaft. In München machte er eine Schauspielausbildung, in Norddeutschland ließ er sich in die Geheimnisse „naturgemäßer Einzelbaumwirtschaft“ einweihen. Und bei dem bekannten Filmemacher Helmut Costard lernte der rastlose Louis den Umgang mit Filmkameras „von der Pike auf‘. Als freier Kameramann mit Pilotenschein lebte und arbeitete er in Chile, den USA und in der Schweiz, Und wenn es nicht ums Filmen ging, ließ er seiner künstlerischen Ader freien Lauf. Die Video-Installationen und Bilder des Louis von Adelsheim wurden schon in vielen Ausstellungen gezeigt. Aber seit der Weltenbummler vergangenes Jahr das Erbe seines Vaters angetreten hat, ist Schluss. „Der Drang in die weite Welt ist vorbei“, hat Louis von Adelsheim zum eigenen Erstaunen festgestellt. „Ich reise nur noch, wenn’s nötig ist.“ Zum Beispiel, wenn er seine l8-jährige Tochter im englischen Internat oder deren chilenische Mutter in Südamerika besuchen will. Ansonsten will der Adelsheimer Neubürger „vor allem als Künstler weitermachen“: Und als einer, der den Flecken zum Leuchten bringt.
Was damit gemeint ist, können späte Besucher noch bis zum 5. August immer freitags und samstags zwischen 22.30 und zwei Uhr erleben. Dann rauschen im nächtlichen Schlosspark riesige Atlantikwellen über eine 30 Meter lange Großleinwand, Fische schwimmen hinter Fenstern vorbei, und eine Brücke scheint zu fließen. „Wasser und Licht“ heißt die Ausstellung von mehr als einem Dutzend Video- und Lichtinstallationen, die der Künstler mit ehrenamtlichen Helfern in monatelanger Arbeit aufgebaut hat. Da wollten sich auch Hausbesitzer, Geschäftsleute, die Kirchen und der Bürgermeister nicht lumpen lassen. Blaue und gelbe Leuchtstäbe zieren neuerdings Fassaden und Fenster. „Das haben die sogar selbst bezahlt“, rühmt Louis von Adelsheim den Eifer seiner Mitbürger, die für die meterlangen Leuchtröhren aus Muranoglas teilweise mehrere tausend Euro hinblättern mussten. Der Schlossherr selbst hat rund 200 000 Euro in das Projekt gesteckt. Deshalb ist die Freude darüber, dass sich „die Atmosphäre in Adelsheim verändert“, nicht ungetrübt. Die EnBW, Banken, ein einheimischer Elektriker und ein Dutzend Adelsheimer decken als Sponsoren und Helfer die Kosten längst nicht ab. „So reich bin ich auch nicht“, sagt Louis von Adelsheim bedauernd und grübelt angestrengt darüber nach, wie das Lichtfestival in Zukunft finanziert werden könnte. Die Lösung ist ihm zwar noch nicht eingefallen, aber das ändert nichts an seinem ungebrochenen Schaffensdrang. Unter anderem will er bis Weihnachten Adelsheimer Familien in Wohnungen und Geschäften filmisch begleiten und das Ergebnis unter dem Arbeitstitel „Innen ist außen“ auf Häuserfassaden projizieren. „Die bringen mir ein Riesenvertrauen entgegen“, staunt der umtriebige Filmemacher und zeigt sich gerührt, dass sie ihn überall mit offenen Armen empfangen. Aber das beruhe ja durchaus auch auf Gegenseitigkeit: „Ich mag die Leute hier auch.“

© Stuttgarter-Zeitung – Juli 2006