21 Projektionen aus Rom erhellen die Adelsheimer Marktstraße / „ATV“ lockte die Zuschauer in Mengen vor die „Glotze“
Adelsheim. Wieder strahlt Adelsheim in einem ganz besonderen Licht. Wer ins nächtliche Städtchen hineinfährt, staunt zunächst vielleicht über eine Neonreklame, die er noch nie bemerkt hat. Dann stutzt man doch, wenn über Fassaden Bilder von flanierenden Fußgängern flimmern: Das ist das Videoprojekt „Rom leuchtet in Adelsheim“ von Kameramann und Videokünstler Louis von Adelsheim. Start war am Donnerstagabend, Ende ist schon morgen, Sonntag.
In der Marktstraße, die die Fußgänger sonst lieber schnell passieren, bleiben die Passanten stehen und staunen die Häuser an, denn auf vielen Fassaden sind bewegte Bilder aus Rom zu sehen. Besonders beeindruckend: Der stille Vollmond auf der evangelischen Stadtkirche und darunter das rauschende Trevi-Wasser. Man weiß nicht, wo fängt die barocke Kirchenfassade an, wo hören die Brunnen-Skulpturen auf? „Einfach schön ist das“ kommentierten zwei Betrachterinnen am Donnerstag die Lichtkunst.
Es macht auch Spaß, die vielen römischen Straßenszenen zu betrachten. In Großaufnahme strömen beispielsweise am Haus Fischer die Passanten über eine Piazza, so nah, dass man fast fürchtet, mit ihnen zusammenzuprallen. Ein Blickfang sind die Marktszenen und die beiden fröhlichen Straßenmusiker an der Apotheke. Das alles weckt beim Betrachter, der sich gegen die Odenwälder Kälte wappnen muss, wohlige Erinnerungen an den letzten Urlaub in südlichen Gefilden, das macht einfach gute Laune. Und dann gibt es wieder witzige Einfälle: Auf der Fassade des Friseurs erhält eine römische Dame von einem – natürlich römischen Kollegen – eine komplizierte Haarbehandlung. Über der Fassade eines Bekleidungsgeschäfts leuchtet der Schriftzug „Gelati“ auf.
Stille Schönheiten warten an anderen Fassaden: Impressionen vom Colosseum, Liebespaare im Gespräch und in zarter Umarmung, die in „typisch italienischer“ Manier gestikulierende Hand eines Mannes, ein ebenso typischer Herr im Dauergespräch am Handy, Skulpturen-Details, Plätze und immer wieder der Vollmond. Man müsste viel Zeit und noch viel wärmere Kleidung mitbringen, wollte man alles sehen. Denn einige der 21 Projektionen laufen bis zu 40 Minuten. Doch „Rom leuchtet“ soll, so Louis von Adelsheim, ohnehin als Ganzes wirken, man kann und muss nicht alles gesehen haben.
Noch am Tag vor der Eröffnung kämpften er und seine Mitstreiter Susanna Walker und Marc Dörfel mit zu wenig leistungsfähigen Projektoren und haderten mit den Fachwerkfassaden, die die römischen Bildern in unkenntliche Stücke zerhackten. Vor allem irritierte die auch in Adelsheim allgegenwärtige Weihnachtsbeleuchtung. Zusammen mit hellen Schaufenstern und noch helleren Straßenlaternen nahm sie den Projektionen bei der „Generalprobe“ einiges von ihrer Leuchtkraft und Intensität. Doch Bürgermeister Klaus Gramlich zog so mancher Lichterkette oder Laterne rechtzeitig den Stecker – und die Ladeninhaber taten es ihm gleich – , so dass am Donnerstagabend die Bilder doch noch richtig aufleuchteten. Und als der Eröffnungstrubel sich gelegt hatte, wurde es an der Marktstraße fast „besinnlich“, wenngleich sich die poetische Stimmung des „Kunstsommers“ an der viel befahrenen Route nicht wiederholen ließ.
Viel Spaß hatten die Betrachter mit dem Projekt „ATV“, mit „Adelsheim Television“. Direkt vor dem Schlossportal steht der drei mal vier Meter große „Fernseher“ im 50er-Jahre-Look, eine Leinwand, auf der durch Rückprojektion Interviews „gesendet“ werden.
Darin berichten Gäste über ihre Eindrücke vom „Kunstsommer“, Presseleute, Kommunalpolitiker, Adelsheimer und Prominente wie Roman Herzog kommen zu Wort. Aber auch die Adelsheimer Fastnacht, der Auftritt des Nikolaus, Versammlungen und alltägliche Szenen hat Louis von Adelsheim in den letzten Monaten in ruhigen, schönen Bildern festgehalten. „Zur Fasnacht brauchen wir jetzt nicht mehr gehen, die schauen wir uns im Fernsehen an“, schmunzelte ein Zuschauer, ein anderer schlug vor, den „ATV“-Fernseher bei der WM nächstes Jahr einzusetzen.
Belustigt verfolgten am Start-Abend bis zu 50 Zuschauer die von Cutter Ralf Schultze pfiffig und unterhaltsam geschnittene „ATV“-Reportage zur Begehung des entstehenden Bauländer Skulpturenradwegs. Der Bericht muss den Vergleich mit einem Beitrag in einer öffentlich-rechtlichen Kultursendung sicher nicht scheuen. Ganz nah philosophieren Kunstprofessoren, Passanten, Bürgermeister und Minister über das, was „Kunscht“ ist und auch im hiesigen Raum sein kann – bei Louis von Adelsheim und „ATV“ jedenfalls wird Kunst selbst Thema der Kunst.
Und diese Kunst ist ganz an den Menschen dran. Viele Bürger und prominente Besucher, das zeigen die ATV-Interviews, kamen beim „Kunstsommer“ erstmals mit Kunst und Künstlern in Berührung und waren begeistert. Offen und interessiert sind auch die Anwohner, die dem Baron und seinen Mitarbeitern Marc Dörfel, Jochem Reinholdt und Wolfgang Schork bereitwillig die Dachböden, Zimmer und Balkone für die Installation der Projektoren öffnen.
Und so steht einem ungezwungenen Kunstgenuss, gerne gestärkt durch einen Becher Glühwein vom kleinen, feinen Jugendhaus-Weihnachtsmarkt auf dem Schlossgelände, nichts im Wege. Markt und Kunst gibt es noch heute, Samstag, und morgen, Sonntag, ab 16 bis etwa 22 Uhr. Heute gibt es zudem um 20 Uhr im Theaterkeller des Schlosses den Rom-Film und Hollywood-Klassiker „Ein Herz und eine Krone“ mit Audrey Hepburn und Gregory Peck. Eine Einführung gibt die Film- und Radiomoderatorin Manuela Reichart, Karten gibt es an der Abendkasse. sab
© Fränkische Nachrichten – Dezember 2005